Dienstag, 7. Dezember 2010

Ein Reh häuten, dumpster diven und dass Kapitalismus schlecht ist.

Im CRIC-house kommen wir am Abend an. Zur Erklaerung, CRIC steht fuer "Cultural Rehabilitation and Internship Centre", und wer das besser verstehen moechte schaut lieber auf deren Blog: crichouse.blogspot.com. Da steht drin, was sie gerne waeren.

Wir werden nett begruesst, in dem alten Haus ist alles etwas chaotisch und warm von den vielen Leuten, vom Tee und vom Essen. Es riecht nach Raeucherstaebchen. Das Maedchen mit dem niedlichen Gesicht, den kurzen Haupt- und den langen Achselhaaren fragt uns, ob wir heute schon mithelfen wollen. "Do you wanna skin a deer?" - maybe. Wir sagen Hallo und bringen unser Zeug erstmal weg.

Das Reh ist roadkill, einer der Grundstuecksbewohner hat es mit seinem Truck umgefahren - sowas laesst man natuerlich nicht verkommen, und das Tier wir auseinandergenommen.
Als wir dazustossen, haengt das Reh mit tropfendem Hals ueber einer Schuessel. "Do you need any help?" fragen wir. Sie wechseln sich ab, zuerst das Fell ein bisschen von der Brust weg bevor die aufgeschnitten wird. Wie man die Innereien jetzt da rauskriegen soll, weiss aber keiner von den dreien so genau. Es ist dunkel und ich halte den Scheinwerfer.
Schliesslich zieht einer an Speise- und Luftroehre, sodass alles was dranhaengt schliesslich mit runterplumpst. Herz, Lunge und alles andere werden in Meatallschuesseln gelegt. Ob ich das in die Kueche bringen koennte und die Lunge in ein eigenes Gefaess tun, bevor alles in den Kuehlschrank kommt. Ich fasse unten an die Aussenseite, das Metall ist warm.
Die Lunge also in eine Extraschuessel tun, aber davor muss sie noch von allem anderen getrennt werden, was heisst, dass ich die Sachen angreifen muss zum auseinanderschneiden.

Es geht nicht. Es geht nicht. Ganz kurz, das warme Fleisch. Aber präparieren kann ich das nicht: Koennte das vielleicht wer anderer machen? Kein Problem.

Wir schlafen im Auto, am naechsten Tag arbeiten wir nach dem Fruehstueck am Bathhouse gearbeitet: Erde, Sand und Stroh wird mit Wasser relativ irgendwie zu Baumaterial verarbeitet und zu sowas wie Waenden geformt. Am Abend sagt jeder, wie er oder sie sich fuehlt und was das Highlight war, ich fuehle mich komisch.

In den naechsten Tagen praeparieren wir einen Teil des Grundstuecks fuer Regen und hoeren zu wie eine halbe Stunde vollen Ernstes darueber diskutiert wird, ob es fairer ist das Fenster lieber offen zu lassen,fuer die, die es wollen, oder sie zu schliessen, fuer die, denen kalt ist. Wir nehmen an der "freeskool" teil, wo eine aus der Gruppe versucht den anderen - aus welchem Grund auch immer - Quantenphysik naeher zu bringen. Man fragt in die Runde, warum Kapitalismus schlecht ist und mir draengt sich das Gefuehlt auf, sie machen das "fuer uns". Es ist kein grosses "Aha", "Oho", sondern es sind die offensichtlichen Dinge, die wir alle wissen. Aber Alex traegt Raulederschuhe und ich eine Jack Wolfskin Jacke, das irritiert wohl.

In den naechsten Tagen beginnt es erst ein bisschen zu regnen, dann immer mehr zu schuetten. Im Auto ist es feucht und kalt, die Matratze beginnt seltsam zu riechen und mir beginnt fuer eine lange, lange Zeit (bis Ende Kuba) die Huefte und das Bein weh zu tun.

Eines Abends wird ueber die kommende Arbeitsverteilung geredet, ich gehe zu jener Zeit ein bisschen absichtlich draussen lang aufs Klo, um daran nicht teilnehmen zu muessen. Als ich zurueckkomme, hat Alexakimu uns beide fuers dumpster-diven angemeldet - YEEHA.

Das absolute Hightlight des ganzen Aufenthalts findet also noch am selben statt. Alex, Marissa und ich fahren so gegen halb zehn abends los, die Matratze in unserem Van ist zurueckgerollt und Marissa hat Stadtplan und Taschenlampen. Sie ist 15 und wohnt seit einiger Zeit - natuerlich mit Erlaub der Eltern - im CRIChouse. Die Haare traegt sie kurz, und auch ihr restliches Aussehen gleicht sich an das der anderen Maedels im CRIChouse an: Rasieren ist nicht, die Kleidung bequem und wer braucht BHs. Auch wenn man ihr das junge Alter anmerkt, hat sie backfischige Hormonwallungen recht gut unter Kontrolle.
Marissa sagt mir den Weg zu unserem ersten Container an, es handelt sich um ein Geschaeft mit vielen Bioprodukten und einer grossen Obst- und Gemueseauswahl, und wenn ein silbernes Auto dasteht, ist der Besitzer da. Aber da ist gar nichts. Wir packen die Taschenlampen und laufen die paar Meter zum Gitter, hinter denen sich der dumpster befindet, Marissa macht klick und wir schluepfen in den Hof, dann klettern wir einer nach dem anderen hinein in die metallerne Fundgrube. Man muss schon suchen hier, um die guten Sachen zu finden, aber wenn man sich einmal durch den angrauten Salat gewuehlt hat entdeckt man, Frucht fuer Frucht, kiloweise Pfirsiche. Und dann auch noch natuerlich Erdaepfel, Tomaten, Schwammerl, Rhabarber, Lemonen, Zitronen. Wir packen alles in Kisten und dann ins Auto, dann fahren wir weiter zum Safeway. Adrenalin pur, ich bin aufgeregt und gluecklich.

Es gibt keinen sichtgeschuetzten Parkplatz und das Geschaeft hat noch offen, manchmal kommen auf der Strasse Menschen vorbei. Ich traue mich zuerst nicht, weil ich glaube eine Kamera zu sehen und sage den beiden, sie sollen ohne mich gehen. Aber sie kommen schon nach ein paar Sekunden mit kistenweise Essen zurueck:
"We scored the boxtower!" - heute liegt bei Safeway ausnahmsweise nicht alles nur so rum, sondern ist schoen in Boxen verpackt. Da haelt es mich auch nicht mehr und renne zu den beiden, das Herz klopft: ich freu mich so! Eine unglaubliche Menge an Essen packen wir in unser Auto, so voll, dass Marissa kaum noch Platz hat nachher.

Was wir schliesslich nach Hause bringen, habe ich - nachem wir alles gewaschen und sortiert haben - wie folgt im Kopf:

-einen 10l-Topf Cherrytomaten
-8 Avocados
-einen 10l-Topf Pfirsiche
-ca. 20 Zitronen/Limonen
-3 Cheesecakes
-3 Kilo Donuts
-unglaublich viel Salat
-8 rote Rueben
-5 Kilo Erdaepfel
-ca. 15 belegte Sandwiches
- gar nicht so wenig von dem gruenen von den roten Rueben
-einen Bananenkiste voll mit Bananen
-einen Bananenkiste voll mit Schwammerl
-500g veganer Schweinsbraten (oder sowas aehnliches)
-7 Suesskartoffeln
-ca. 10 Stueck Wurzeln (Karotten und aehnliches)
-ein paar Granataepfel
-15 Aepfel
-7 Birnen
-1 Sternfrucht
-10 Zucchinis
-10 Melanzani
-paar Kuerbisse
-einen Sack Bagels

...und noch unglaublich viel anderes gutes Essen, viel, wirklich wirklich viel.

Am letzten Tag machen wir dann nicht mehr viel, Alex und ich gehen spazieren, relaxen und er spielt Kalimba. Wir fahren gegen 10 Uhr morgens los, weil wir noch eine lange Autofahrt nach San Diego vorhaben - wohin wir in der Zwischenzeit ueber eBay das Auto verkauft haben.

Zu meinem Erstaunen schaffen wir die ganze Fahrt nach San Diego an einem Tag.

crichouse
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